Gemäss einer heute publizierten Studie des Meinungsforschungsinstituts Sotomo wünschen sich Arbeitnehmende mehr Berücksichtigung ihrer Wünsche und weniger «Flexibilität nach Gutdünken des Chefs». Sie wollen keine zusätzliche Nacht- und Sonntagsarbeit und stehen auch der Abendarbeit kritisch gegenüber. Eine Deregulierung des Arbeitsgesetzes wird von den Arbeitnehmenden nicht gewünscht.
Arbeitnehmende fordern mehr Arbeitszeit-Autonomie
Die heute erschienene Sotomo-Studie im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) zeigt, dass Arbeitnehmende von ihren Vorgesetzten mehr Autonomie bei der Gestaltung der Arbeitszeiten und der Wahl des Arbeitsortes fordern.
Was die verschiedenen Formen der Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung betrifft, hat für die Befragten die Möglichkeit, den Beginn oder das Ende des Arbeitstages zu verschieben, oberste Priorität. Beispielsweise wünschen sich die Befragten die Möglichkeit, länger zu schlafen oder Zeit für ein morgendliches Workout zu haben, bzw. früher Feierabend zu machen, um Zeit für Hobbys oder familiäre Aufgaben zu finden. 83 Prozent der Angestellten, für die flexible Arbeitszeiten grundsätzlich möglich sind, empfinden es als eher oder sehr wünschenswert, den Anfang bzw. das Ende des Arbeitstages verschieben zu können. Auch die Möglichkeit, die Arbeit für eine längere Pause zu unterbrechen, etwa für eine ausgedehnte Mittagspause, wird von vielen gewünscht (73 %), dies ist jedoch aufgrund der starren Vorgaben der Arbeitgeber oft nicht möglich, weil diese kurze Mittagspausen und ständige Erreichbarkeit sogar in der Mittagspause fordern.
Arbeitnehmende lehnen Abendarbeit ab
Im Gegensatz dazu wünschen sich nur zwei von fünf betroffenen Angestellten die Möglichkeit , spätabends arbeiten zu können, z. B. nach dem Abendessen noch einmal im Homeoffice. Die Mehrheit sieht hier keinen Bedarf. Zwischen den Altersgruppen gibt es bei diesen drei Formen der Arbeitszeitflexibilität nur geringe Unterschiede. Die Möglichkeit, den Beginn und das Ende der Arbeitszeit zu verschieben oder längere Pausen einzulegen, wird in allen Altersgruppen mehrheitlich als wünschenswert angesehen, während die Möglichkeit, spätabends zu arbeiten, im Durchschnitt neutral bis eher unerwünscht bewertet wird.
Arbeitnehmende wollen bei Teilzeit den Arbeitstag selbst bestimmen
Wie bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten wünscht sich auch bei der Flexibilisierung der Arbeitstage ein substanzieller Teil der Schweizer Erwerbstätigen mehr Möglichkeiten. Ein Drittel wünscht sich mehr Flexibilität vom Arbeitgeber bezüglich der Tage, an denen sie arbeiten, während rund zwei Drittel diesbezüglich keine Veränderung wünschen.
Arbeitgeber gewähren weniger Homeoffice, als von den Arbeitnehmenden gewünscht wird
Generell wünschen sich die Schweizer Angestellten noch mehr Flexibilität bei ihrem Arbeitsort, als sie heute bereits haben. Während momentan 60 Prozent der Angestellten die Möglichkeit haben, remote zu arbeiten, wünschen sich drei Viertel diese Option. Ein Viertel der Angestellten möchte niemals remote arbeiten. Die drei Viertel verteilen sich gleichmässig auf Personen, die weniger als die Hälfte der Arbeitszeit bzw. die Hälfte der Arbeitszeit oder mehr remote arbeiten möchten.
Fazit: Arbeitgeber-Studie zeigt, dass Flexibilität häufig nur zu ihren Gunsten ausgeübt wird.
Die Studie sagt genau nicht das aus, was die Arbeitgeber sich wohl erhofft haben – ein Befürwortung der Deregulierung des Arbeitsgesetzes, der Erlaubnis von Sonntags- und Nachtarbeit oder der Einführung von 17-Stunden-Arbeitstagen.
Welche Frage, ob die Arbeitnehmenden selbst ihre Arbeitszeitmodelle flexibel wählen möchten! Wer wäre da schon dagegen? Natürlich wollen die Arbeitnehmenden (selbst!) wählen.
Wohlweislich wurden die Arbeitnehmenden in der Studie nicht befragt, ob sie an Sonntagen oder nachts arbeiten wollen! Hier wäre die Antwort klar ein Nein.
Bereits die Arbeit am Abend nach dem Abendessen (im Homeoffice) wird überraschenderweise deutlich abgelehnt. Was die Studie tatsächlich zeigt, ist, dass Arbeitnehmende vom Arbeitgeber flexible Arbeitszeitmodelle fordern, wenn sie es für nötig halten oder wünschen ist. Das kann der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) nur unterstützen. Arbeitgeber müssen endlich demokratisch auf die Wünsche der Arbeitnehmenden bei der Arbeitszeitgestaltung eingehen. Dies geschieht heute nicht.
Die Arbeitnehmenden wollen also nicht das Arbeitsgesetz deregulieren, sondern erwarten, dass die Arbeitgeber das Arbeitsgesetz einhalten, aber innerhalb der sehr grosszügigen Rahmenbedingungen die Wünsche der Arbeitnehmenden berücksichtigen (sogenannte «Arbeitnehmerflexibilität» vs. «Arbeitgeberflexibilität»).
Zur Studie:
Es sei darauf hingewiesen, dass die Studie nicht repräsentativ ist. Der Arbeitgeberverband hat ein zu kleines Sample verwendet: 1’670 Befragte, obwohl die Schweiz mehr als fünf Millionen Arbeitnehmende hat. Das sagen auch die AutorInnen: «Da sich die Teilnehmer der Umfrage selbst rekrutiert haben, ist die Zusammensetzung der Stichprobe nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit.» Es scheint, dass der SAV die Kosten für eine wirklich statistisch valide Studie nicht tragen wollte.
Der SGB kann sich mit einer gewissen Ironie den Forderungen des Arbeitgeberverbandes nach flexiblen Arbeitszeitmodellen anschliessen. Diese Flexibilität muss jedoch im Dienste der Angestellten stehen, nicht der Arbeitgeber. Diese Forderung sollte der SAV jetzt intern diskutieren, denn seine eigene Studie zeigt, dass die Chefs in der Schweiz leider nicht genug Rücksicht auf die Wünsche der Arbeitnehmenden hinsichtlich Arbeitszeiten und -orten nehmen. Flexibilität scheint den Arbeitgeberverband nur zu interessieren, wenn sie zu seinem eigenen Vorteil ist.
Seit einiger Zeit müssen sich die Arbeitgeber um ihr Personal bemühen. Das ist gut und überfällig. Sie nennen das «Fachkräftemangel». Die naheliegende Antwort wäre, die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld zu verbessern. Doch die Arbeitgeber wollen das Rad der Zeit zurückdrehen, d. h. längere Arbeitszeiten, mehr Überstunden, weniger Arbeitnehmerschutz – nota bene ohne dass es in den letzten Jahren Reallohnerhöhungen gegeben hätte. Die Folgen davon wären mehr Stress und Burnouts – nicht gerade förderlich für die Attraktivität von Arbeitsplätzen.